Vom Glauben in einer orientierungslosen Welt
Warum ausgerechnet ein Journalist der liberalen Süddeutschen Zeitung ein großes Buch über den Glauben geschrieben hat.
Zusammenfassung: In einer Welt, die sich oft rastlos und orientierungslos anfühlt, hat Tobias Haberl mit "Unter Heiden" einen Nerv getroffen. Sein Buch ist weit mehr als nur eine persönliche Glaubensbiografie; es ist ein authentisches Zeugnis, wie der Glaube in der modernen Gesellschaft nicht nur überleben, sondern auch eine zutiefst bereichernde Rolle spielen kann.
Neben meinem Schreibtisch stehen inzwischen vier rund einen Meter hohe Bücherstapel, die darauf warten heruntergelesen zu werden. Das nennt man Tsundoku, eine Wortschöpfung aus dem Japanischen aus tsunde-oku (stapeln/beiseitelegen) und dokusho (lesen). Und hin und wieder finde ich darunter ein Buch, bei dem ich dann denke, dass ich es eigentlich hätte gleich lesen müssen. Unter Heiden - Warum ich trotzdem Christ bleibe von Tobias Haberl gehört ganz klar zu dieser Kategorie.
Ich habe es damals gekauft, weil ich eine Kritik in einer Wochenzeitung gelesen habe. Beim Durchstöbern einer Buchhandlung hätte mich wohl der Untertitel spontan vom Kauf abgehalten, “Warum ich trotzdem Christ bleibe”, das klingt irgendwie nach enttäuschtem ZdK-Mitglied, dem der deutsche Synodale Weg zu wenig Autobahn ist.
Gelassenheit im Glauben
Dabei wäre mir etwas entgangen, denn genau das ist Tobias Haberl nicht. Er hat jenes (nicht un-bayerische) Verhältnis zum Katholizismus, das zwischen dem Ernstnehmen des Glaubens und auch mal bei den Regeln alle Fünfe grade sein lassen zu können, hin und her schwankt. Dieses entspannte Verhältnis, das ich beispielsweise bei vielen Konvertiten vermisse. Das ist mir sehr nahe. Ich erinnere mich an eine schwere Zeit, als eine Psychiaterin mir an meinem letzten Tag in der Klinik einen Gottesdienst von Sant’Egidio anbot. Sie würde das gewöhnlich nicht tun, aber ich hätte während meiner Zeit dort ein so selbstverständliches und entspanntes Verhältnis zum Glauben gehabt, dass sie eine Ausnahme machen wollte. Und tatsächlich muss ich im Rückblick auch sagen, dass gerade in einer so schweren Zeit der Glaube so etwas wie das letzte Rettungsnetz war, das nicht gerissen ist.
Dabei bin ich zwar katholisch getauft, aber nicht katholisch aufgewachsen. Das selbstverständliche Hineinwachsen in den Katholizismus, von dem der gleichaltrige Tobias Haberl aus seiner Kindheit im Bayerischen Wald berichtet, ist mir aber fremd. Meine Eltern traten aus Steuergründen irgendwann aus der Kirche aus, meine Schwester ist Atheistin, ein Großvater starb in der für ihn geltenden Gewissheit, das es vorbei ist, eine Großmutter entdeckte erst im Alter den Glauben an Gott wieder und meine katholisch getaufte Mutter trat irgendwann in die evangelische Kirche ein, weil man als Altenpflegerin bei kirchlichen Unternehmen eben in einer Kirche sein sollte. Die einzige religiöse Prägung war meine ostpreußische evangelische Oma, die immer mal wieder die alte Kinderbibel herausholte und mit dem kleinen Thomas darin blätterte.
Entsprechend war der größer gewordene Thomas auch lange nicht besonders gläubig. Schlimmer noch, er war ein Liberaler, für den der Katholizismus rückständig und veraltet war.
In der Diaspora
Das ich das heute nicht mehr bin, war eher ein langer Spaziergang, als ein Erweckungserlebnis. Ich erinnere mich allerdings genau an den Moment, an dem der Weg begann. Ich war für ein paar Tage in London unterwegs. Und da das noch in einer Zeit vor Google Maps war, musste ich mich mit einer Karte zurechtfinden. Und jeder, der mich bei der Bundeswehr erlebt hat, weiß wie wenig ich vom Kartenlesen verstehe. Also landete ich auf der Suche nach Westminster Abbey in der Westminster Cathedral. Und dort saß ich in einem abgetrennten Bereich und betete. Und als Tourist verließ ich die Kirche natürlich nicht ohne Souvenir, einem kleinen Anhänger des Heiligen Thomas Morus.
Auch Haberl, der als Journalist bei der Süddeutschen arbeitet, kennt solche Phasen. Fand aber dennoch wieder zurück, und das in einem Umfeld, in dem Gott nicht wirklich gefragt ist. Dort schrieb er ein Essay, in dem er selbst von seinem Glauben berichtete und von der Reaktion regelrecht überwältigt wurde. (Und ja, natürlich fühlte man sich in der Süddeutschen dann verpflichtet eine Gegendarstellung zu schreiben.) Das Essay wurde zu einem Glaubensbuch, wie ich selten eines gelesen habe. Das Buch eines einfachen Christen - kein Theologen. (Was man bis auf eine Unsauberkeit bei der Unfehlbarkeit des Papstes, die Haberl unrichtig nicht auf die Verkündung von Dogmen reduziert, aber nicht bemerkt.)
Haberl formuliert dabei sein Verhältnis zum Glauben in alltäglichen Erlebnissen und schönen Bildern. Etwa wenn er beschreibt, ein Leben nach dem Tode sei im Leben wie eine Rolltreppe nach oben, an deren Ende das Beste noch komme. Oder auch wie folgt:
“An Gott zu glauben, das fühlt sich an, als wäre man nach qualvollen Tagen auf offener See auf einer traumhaften Insel gestrandet, die man nie mehr verlassen muss, …”
Er beschreibt sich als Katholik, der zwischen den Polen ist. Der die Alte Messe liebt (mir persönlich immer fremd geblieben) und “Event”-Gottesdiensten beim Münchner Pfarrer Schießler (mir zu abgehoben). Er beschreibt wie er im Kloster erst seine Zeit zu brauchen, um Gott dort zu erleben. Lässt aber auch die dunklen Seite der modernen Kirche (Missbrauch) nicht unerwähnt. Er tut sich schwer mit seiner Kirche, weiß aber auch, das Kirche nun mal aus dem menschlichen Bodenpersonal besteht und der eigentliche Kern die Verkündigung des Glaubens ist.
Der unglaubliche Umfang des Katholizismus
Haberl weiß aber auch die weltliche Bedeutung der Kirche zu schätzen, auch als liberaler Mensch und hier möchte ich ihm als KABler zustimmen.
“Der Glaube als radikales Gegenmodell zu einer duchökonomisierten Wirklichkeit, die mir oft deprimierend geheimnisvoll erscheint, der Glaube als letztes Abenteuer in einer entzauberten Welt.”
Das auch er verstanden hat, dass in dieser “entzauberten Welt” schon lange etwas schief läuft, scheint auch immer wieder in seinem Buch durch. Der postmoderne Mensch ist rastlos und getrieben geworden, immer auf der Jagd nach dem individuellen Glück, das er jedoch - wenn überhaupt - nur für kurze Augenblicke genießen kann. Ein Westen, der vielleicht glaubt, die vom christlich-jüdischen Abendland geschaffenen Werte in einen atheistischen Liberalismus übertragen zu können, ohne zu merken, dass das wie ein Baum ist, der von seinen Wurzeln getrennt sterben muss.
Der Buddha steht auf der Toilette
Dabei erlebt er eine Gesellschaft, die prinzipiell noch glauben will. Oder wie es ein Freund von mir einst formulierte, der Homo sapiens ist auch ein Homo credens - ein Mensch, der glauben will. Und nicht zu unrecht zitiert er C. K. Chesterton, der meinte, wenn der Mensch nicht mehr an Gott glauben würde, würde er an alles glauben. Das mag die Technik oder der Fortschritt sein, oder der Buddha mit Räucherstäbchen auf der Toilette.
Das der Homo credens noch immer auf der Suche ist, zeigen nicht nur die vielen Reaktionen auf Haberls Essay in der Süddeutschen. Auch Unter Heiden wurde, seit es letztes Jahr erschien, zu einem Überraschungserfolg. Nicht nur bei gläubigen Lesern, wie man hört, auch so manch überzeugter Säkularist fand das Buch lesenswert. Was wohl vor allem an der authentischen Herangehensweise von Tobias Haberl liegt, der selbst Themen wie die Alte Messe in einem Licht erscheinen lässt, das vielen Progressiven in unserer Kirche neu erscheinen wird.
Oder um es kürzer zu fassen, mit Unter Heiden hat Tobias Haberl einen Nerv getroffen. Und genau dort, wo man ihn in einer vom Mainstream gezeichneten Welt am wenigsten erwarten würde.
“Unter Heiden - Warum ich trotzdem Christ bleibe” von Tobias Haberl. - btb Verlag 2. Auflage 2024