Vom Fasten zum Fest: Das steckt hinter dem Advent
Zwischen Lichterketten und Geschenkeshopping gerät die eigentliche Bedeutung der Wochen vor dem Weihnachtsfest in Vergessenheit..
Zusammenfassung: Der Advent ist für viele eine stressige Hochsaison des Konsums und der Termine, die gefühlt schon im November ihren Anfang nimmt. Das Fest selbst, so der Tenor dieses Beitrags, wird dadurch nicht größer, sondern verliert an Zauber. Die ursprüngliche Idee der Adventszeit als bewusste Phase der Ruhe, der Besinnung und des Innehaltens ist ein kraftvolles Gegenmodell zur heutigen Getriebenheit. Ob man nun religiös ist oder nicht: Ein bewusster Verzicht auf Überfluss – sei es bei Terminen, Süßigkeiten oder dem Kaufrausch – schafft Raum. Raum für Stille, für echte Vorfreude und für das Wesentliche.
Wenn Ende November die ersten Lichterketten in den Straßen hängen und Supermärkte Lebkuchen pyramidenartig stapeln, beginnt für die meisten von uns ganz selbstverständlich die „Weihnachtszeit“. Wir backen Plätzchen, trinken Glühwein, planen Weihnachtsfeiern und stürzen uns in Geschenkeshopping. Der Advent fühlt sich für viele heute allerdings schon wie eine wochenlange Weihnachtszeit an, die mit dem 24. Dezember ihren Höhepunkt hat und dankenswerterweise mit zwei freien Tagen endet.
Dabei ist das, was viele für das Ende von Weihnachten halten, eigentlich erst der Anfang. Und die Adventszeit dient der Vorbereitung auf das Fest. Fast vergessen ist die eigentliche Bedeutung dieser Tage, es ist keine Feierphase, sondern eine Fastenzeit. Ein bewusster Zeitraum des Innehaltens, der Ruhe und der Besinnung.
Zurück zu den Wurzeln
Der ursprüngliche Advent hatte mit Konsum und vorgezogener Weihnachtsstimmung nichts zu tun. Man bereitete sich innerlich auf das bevorstehende Fest vor. Advent bedeutete, innezuhalten. Heute dagegen füllen wir die Wochen vor Weihnachten mit Terminen, Aufgaben und Kalorienbomben. Vielleicht ist es deshalb an der Zeit, über den ursprünglichen Sinn dieser Wochen nachzudenken – unabhängig davon, ob man religiös ist oder nicht.
Advent, die zweite Fastenzeit
Der Begriff „Advent“ stammt vom lateinischen adventus und bedeutet „Ankunft“. Gemeint ist die Ankunft Christi, auf die sich gläubige Menschen vorbereiten wollten. Bis ins 20. Jahrhundert galt der Advent in großen Teilen Europas als zweite Fastenzeit – vergleichbar mit der Fastenzeit vor Ostern. Fleisch war oft verboten, Süßes oder üppige Speisen ebenfalls. Tanzveranstaltungen und große Feiern waren nicht üblich. Stattdessen sollte man sich auf innere Ruhe konzentrieren.
Das Ziel war nicht Verzicht um des Verzichts willen. Es ging darum, Raum zu schaffen – Raum für Gedanken, für Stille, für Erwartung. Weihnachten selbst war der Höhepunkt, nicht die Wochen davor. Erst am 24. Dezember begann die festliche Zeit wirklich.
Wie wurde aus Besinnung Überfluss?
In unserer heutigen Kultur ist kaum etwas so selbstverständlich wie das Verschmelzen von Advent und Weihnachten. Marketing und Handel erschaffen jedes Jahr aufs Neue ein Bild von vier Wochen Dauerweihnachtsfeier. Weihnachtsmärkte beginnen immer früher, auch wenn man sie heute sicherheitshalber hier und da schon Genussmarkt nennt. Und längst nicht mehr jeder Weihnachtsmarkt schließt nach den offiziellen Weihnachtsfeiertagen sein Pforten. Und auch Adventskalender sind ein sichtbares Zeichen geworden, dass es um Konsum geht und nicht um die mit jedem geöffneten Türchen die Vorfreude auf den Heiligen Abend zu steigern. Sie geben sich längst nicht mehr mit einem täglichen Stückchen Schokolade zufrieden, das manch einer als Kind schon heimlich am Vorabend genossen hat, um dann das Türchen wieder sorgfältig zu verschließen. Heute kostet manch Kalender so viel, wie früher das Geschenk unterm Weihnachtsbaum.
Die stille Zeit wird zur Hochsaison für Konsum.
Das hat Folgen: Termindruck, Stress, Verpflichtungen, und dazu der nahezu automatische Griff zu Süßigkeiten. Dominosteine werden mauernweise gegessen und Lebkuchen in Massen, als wäre man Hänsel und Gretel und müsse das Hexenhaus am Stück aufessen. Statt Besinnlichkeit entsteht ein Gefühl von Dauerbeschäftigung, Konsum und Mästen des eigenen Körpers – und manchmal auch Überforderung.
Warum der ursprüngliche Advent uns heute gut tun würde
Auch ohne religiösen Hintergrund steckt in der Adventsidee etwas, das uns in unserer modernen Lebensweise fehlt: bewusste Pause. Vier Wochen, in denen man zur Ruhe kommt, bevor die Festtage beginnen. Nicht als asketisches Fastenprojekt, sondern als wohltuendes Gegenmodell zum Überfluss.
1. Reduktion schafft Vorfreude - Wenn alles ständig verfügbar ist – Lebkuchen im September, Weihnachtsfilme ab Oktober – verliert das Fest seinen Zauber. Ein begrenzter Zeitraum steigert die Wertschätzung.
2. Bewusster Genuss statt Dauer(fr)essen - Plätzchen schmecken anders, wenn sie etwas Besonderes sind. Eine Phase der Zurückhaltung ermöglicht intensiveren Genuss, wenn Weihnachten tatsächlich da ist.
3. Ruhe statt Getriebenheit - Der Advent bietet die Möglichkeit, aus der Tretmühle auszusteigen. Stille kann produktiver sein als Hektik.
4. Weniger Konsum, mehr Bedeutung - Zeit ist wertvoller als Dinge. Die ursprüngliche Adventsidee lenkt den Fokus auf das Wesentliche.
Weniger Advent kann mehr Weihnachten bedeuten
Der Advent war ursprünglich nicht die Verlängerung des Weihnachtsfestes, sondern seine Vorbereitung. Vielleicht lohnt es sich, sich einen Moment der Stille zurückzuerobern – nicht aus Pflicht, sondern aus Selbstfürsorge. Weihnachten wird dadurch nicht kleiner. Im Gegenteil: Es wird wertvoller.
Weniger Advent. Mehr Weihnachten.


