MTV macht Schluss: Das Ende der Musikvideos
Am 1. Januar 2026 endet eine Ära: MTV verabschiedet sich endgültig von Musikvideos
Zusammenfassung: Das Ende der Musikvideos auf MTV markiert weit mehr als nur eine Programmänderung; es ist das finale Eingeständnis, dass das Zeitalter der kollektiven popkulturellen Entdeckung vorbei ist. Wo früher mutige Redakteure Trends setzten und Teenager stundenlang auf das eine Lieblingsvideo warteten, regieren heute sterile Algorithmen. MTV hat versucht, sich dem rasanten Zeitgeist anzupassen, verlor dabei aber seine Seele an den Trash.
In einer Welt der vorgetäuschten Zeitenwenden tritt für viele unbemerkt am 1. Januar 2026 eine echte Zeitenwende ein. MTV macht Schluss – nicht als Sender, sondern als Sender für Musikvideos.
Zeit für ein wenig Generation-X-Nostalgie
Das ist einer dieser Momente, an denen man sich auch als Nicht-Boomer einfach nur alt fühlt, weil man den Kids von heute gar nicht mehr verständlich machen kann, was ein Fernsehsender für einen prägenden Einfluss auf ein Leben haben kann. Ich meine, wer in der jungen Generation sitzt noch regelmäßig oder überhaupt vor dem Fernseher? Wer kann sich heute noch vorstellen, wie es war, wenn man als kleines Kind mit den Eltern vor der Flimmerkiste saß und die Auswahl zwischen drei Sendern hatte – DREI. Gut, manche haben noch die DDR-Programme reingekriegt, aber ob die was anderes außer Propaganda und dem Sandmännchen gezeigt haben, kann ich heute nicht mehr sagen.
Als dann das Kabelfernsehen kam, kam auch eine neue Welt. Bei uns relativ früh. Einer der Vorteile, wenn man stellvertretende Landräte als Nachbarn hatte. So lief das damals – und wahrscheinlich heute noch. Aber auch dann dauerte es noch ein bisschen, bis MTV aus den Staaten auch nach Deutschland kam. Dass es MTV gab und dass das Video das Radio um die Ecke gebracht hatte, wussten wir zumindest schon aus der Bravo.
Und dann war MTV endlich da. Das absolute Kontrastprogramm zur als spießig empfundenen Elternwelt mit ihren Samstagabendshows und Tatorten, in denen es noch um Morde ging und nicht um Politik. Musikvideos waren für uns Kleinstadtkids wie Reisefernsehen, nur unterhaltsamer. Musikvideos brachten den coolen Teil der großen weiten Welt ins Kinderzimmer. Man lernte nicht nur einfach, was in der Musik gerade angesagt war, sondern bekam Stylingtipps und wusste, was man am nächsten Vormittag auf dem Schulhof zu sagen hatte und wie man es zu sagen hatte.
Madonna brachte noch Sexappeal ins Wohnzimmer, ohne dabei auszusehen, als sei sie auf Ausgang mit ihrem zu jungen Pfleger. Michael Jackson inspirierte eine ganze Welt, weil niemand das mit seinen Affen und kleinen Jungs wusste. Kurt Cobain drückte aus, was die vielen Einzelgänger und Außenseiter fühlten, und machte MTV Unplugged gleich mit der ersten Ausgabe zu einer Legende unter den Musikformaten. Sich die CD davon zu besorgen – daran führte kein Weg vorbei.
Nicht zuletzt sorgte MTV für Generationen Pubertierender für den Stoff der feuchten Träume. Die alltägliche Pornografie, die heute (leider) jeder Teenager mit seinem Handy in der Hosentasche herumträgt, war unbekannt. Wer mehr nackte Haut als in der Werbung für Fa-Duschbad sehen wollte, musste die Praline oder Neue Revue aus dem Altpapierkarton fischen. Musikvideos waren das einzige Format, das Grenzen austestete. M. C. Hammers U Can’t Touch This löste mit seinen Tänzerinnen noch einen lebenslangen Lycra-Fetisch aus.
Das schwindende “M”: Von Musik zu Trash
Zwischendurch führten Beavis und Butt-Head in acht Staffeln vor, wie sich Eltern ihre Kinder in den schlimmsten Albträumen vorstellen. Ein paar Jahre später war in Jackass zu sehen, was für einen Scheiß wir alle besser nicht tun sollten, obwohl wir uns dabei doch verdammt cool gefühlt hätten.
Doch im Grunde stand Jackass schon am Anfang dessen, was am 1. Januar 2026 konsequent umgesetzt wird. Das M in MTV wurde immer weniger. Klar, die Osbournes waren noch cool, doch mit Teen Mom, RuPaul oder Cheyenne begann das T in MTV immer mehr für Trash zu stehen. Da konnten auch vereinzelte Höhepunkte wie Awkward nichts mehr reißen. MTV begann seine Seele zu verkaufen, indem es versuchte, sich dem Zeitgeist anzupassen.
Doch in diesem Rennen zu überleben, ist schwer bis unmöglich. Der Zeitgeist ist immer schneller. MTV war kein TikTok, dessen Algorithmus seine Nutzer geschickt zu manipulieren weiß. MTV war nicht einmal ein Spotify, das jedem ermöglichte, sich seine eigene Musikshow zusammenzustellen.
Das Ende der Entdeckungsreisen
Wenn ich heute meinem Teenager-Neffen erzähle, dass man MTV eingeschaltet hat, schlechte Videos geduldig ertrug, weil man sicher war, das nächste wäre ein geiles – der schaut mich an, wie ich Opa angeschaut habe, wenn er vom Krieg erzählt hat. Die Möglichkeit, auf diese Weise etwas Neues zu entdecken, die gibt es heute gar nicht mehr. Der Weg ist vom Algorithmus vorherbestimmt, der einen solchen Risikovorschlag garantiert nicht machen wird.
MTV hat versucht, diesen Weg mitzugehen. VH1 wurde geschaffen, um die erste MTV-Generation zu halten. Später folgten diverse MTV-Spartensender für Musik aus den 1980ern, den 1990ern – oder was alte Säcke wie ich als das goldene Jahrzehnt der Jugendmusik bezeichnen, weil sie zufälligerweise genau damals ihre Jugend erlebt haben. Dem Vernehmen nach werden auch diese Spartensender aus dem IP-TV verschwinden; mein Anbieter hat dafür schon passenden Ersatz ins Senderangebot genommen. Trotzdem wird MTV nicht weiterleben, denn zwischen einem Sender für Musikvideos und einem Sender für ein Lebensgefühl besteht doch ein Unterschied.



