Eden - Der Girlboss-Film, den wir eigentlich brauchen
Ein entlegenes Paradies auf Galápagos, drei Frauen, eine explosive Mischung: Ron Howards "Eden" enthüllt, wie der Traum von der Zivilisationsflucht an menschlicher Eitelkeit zerbricht.
Zusammenfassung: Ron Howards Verfilmung der Ereignisse auf Floreana ist ein tiefschürfendes Drama, das die romantisierte Vorstellung vom Paradies radikal demaskiert. Es ist keine einfache Abenteuergeschichte, sondern eine messerscharfe Analyse dessen, was passiert, wenn der Mensch sich selbst an einen Ort ohne Regeln mitnimmt. Der Film zeigt ungeschönt, wie Utopie an Eitelkeit und Macht zerbricht. Besonders eindrücklich gelingt Howard der Perspektivwechsel: Er nimmt die glamourösen, lärmenden Visionen der Baronin zurück und rückt die stille Entschlossenheit der Mutter Margaret in den Fokus. Sie ist die wahre Protagonistin, deren unaufgeregte Liebe und der unerbittliche Schutz ihrer Familie das einzig Überlebensfähige auf der Insel darstellen.
Seit der Vertreibung aus dem Paradies ist der Mensch auf der Suche nach dem Rückweg in eben jenes. Geschichten wie jene der deutsch-österreichischen Besiedelung der Galápagos-Insel Floreana zeigen aber deutlich, dass die Suche nach dem Garten Eden des Menschen daran scheitert, dass der Mensch nun einmal Mensch bleibt. In Ron Howards Verfilmung der Geschehnisse ist das jedoch nicht die einzige Moral der Geschichte. In „Eden“ steht die Frau im Zentrum der Geschichte, als Verführerin, als Fanatikerin, als Mutter.
Die Handlung
Friedrich Ritter (Jude Law) und seine Lebenspartnerin Dore Strauch (Vanessa Kirby) fliehen 1929 aus Deutschland — überzeugt davon, dass die bürgerlichen Werte der Heimat der Menschheit schaden. Sie lassen sich auf der unbewohnten Insel Floreana im Galápagos-Archipel nieder, mit dem Ziel, fernab der Zivilisation ein neues, bewusst philosophisch angeleitetes Leben zu führen: Ritter plant, ein Manifest zu schreiben, Dore hofft, ihre Multiple Sklerose durch Meditation zu heilen.
Bald stoßen weitere Aussteiger zu ihnen: das Ehepaar Heinz Wittmer (Daniel Brühl) und Margret Wittmer (Sydney Sweeney) mit dem Sohn Harry — sie suchen ebenfalls Zuflucht und einen Neubeginn. Zunächst entwickelt sich eine vorsichtige Gemeinschaft, doch im Grund wäre es gerade Ritter recht, die Neuankömmlinge würden wieder zurück nach Deutschland gehen. Doch die Wittmers erweisen sich als taugliche Siedler, bauen Land und Grundversorgung auf.
Die fragile Idylle kippt, als schließlich die exzentrische und selbstbewusste Eloise Wehrborn de Wagner‑Bosquet (Ana de Armas) mit ihren beiden Liebhabern ankommt — eine barock-grotesk wirkende Baronin mit dem Ziel, auf der Insel ein Luxus-Hotel hochzuziehen. Schon bald eskaliert der Konflikt zwischen ihren elitären Vorstellungen und den Überlebensprinzipien der übrigen Inselbewohner. Eitelkeit, Machtspiele und Misstrauen vergiften das Zusammenleben; aus utopischer Hoffnung wird ein Kampf ums Überleben — in dem ideologische Differenzen, Sehnsucht nach Freiheit und menschliche Abgründe aufeinanderprallen.
Die Verführerin
Weniger wie Eva im Garten Eden, sondern eher wie Lilith, die nach jüdischen Legenden erste Frau Adams, erweist sich die falsche Baronin als verführerische Manipulatorin, die es über weite Strecken des Films versteht, nicht nur ihre beiden Liebhaber nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Die von ihr gesäte Zwietracht bröckelt erst, als ein mitgebrachter Diener die Skrupellosigkeit hinter der von Ana de Armas äußerst attraktiv gespielten Baronin erkennt und seine Kündigung aufatmend annimmt. Als schließlich auch ein auf Kurzbesuch anwesender amerikanischer Millionär ihren Verführungskünsten widersteht, neigt sich die Macht der Baronin — deren reales Vorbild sich auch schon mal als Kaiserin der Galápagos-Inseln bezeichnen ließ — ihrem Ende zu. Gebrochen wird sie endgültig in einem ersten — SPOILER — blutigen Showdown.
Die Fanatikerin
Spröde, aber gläubig an die Ideen von Ritter glaubend kommt die von Vanessa Kirby gespielte Dore daher. Sie entpuppt sich als die treibende Kraft hinter Felix Ritters Manifest für eine neue Menschheit jenseits bürgerlicher Moral. Sie lebt dieses neue Leben und glaubt an seine Ideen. Doch in Wahrheit scheint sich ein eigenes Bild der Lehren ihres Gurus in ihrem Kopf entwickelt zu haben — und es ist dieses Bild, nach dem sie lebt. Auch dann, als Ritter von seinen vegetarischen Idealen abkommt und Jäger wird, oder sein Pazifismus verschwindet und er zum unvermeidlichen Schluss kommt, dass die Abkehr vom bürgerlichen — vom zivilisatorischen — Leben am Ende nur dazu führt, dass sich der Mensch ganz seinen animalischen Gelüsten hingeben will. Ganz Fanatikerin kann sie jedoch diesen Abfall vom Glauben nicht tolerieren, weil sie sich sonst das Scheitern eingestehen müsste.
Die Mutter
Zurückhaltend, fast gefügig kommt die von Sydney Sweeney gespielte Margret Wittmer daher. Sie folgt dem Mann, den sie geheiratet hat, einfach nur, weil er sie gefragt hatte, auf die Insel Floreana, um dort seine Idee eines Lebens abseits der Zivilisation zu verwirklichen. Wobei gefügig keine passende Formulierung für Margret zu sein scheint. Sie folgt nicht gefügig auf die Insel, sondern bereit, die Leiden dort anzunehmen, um sie in etwas Fruchtbares zu verwandeln.
Regisseur Ron Howard versteht es hervorragend, ihre Wandlung zur eigentlichen Herrscherin der Insel zu zeichnen. Zum zentralen Wendepunkt von der folgsamen Frau zur prägenden Persönlichkeit zeichnet er bei der Geburt ihres Kindes nach, in der sie nicht nur den ersten auf der Insel geborenen Menschen zur Welt bringt, sondern sich auch einer Meute wilder Hunde widersetzt. Von da an ist es nur noch ein kleiner Weg, bis sich die Frau und Mutter im Hintergrund zu dem entwickelt, was Mütter und Ehefrauen auf der ganzen Welt zu Hauf und oft unbemerkt sind: die Bewahrerin der Familie und Heimat, die den Irrungen und Wirrungen der Männer überlegen, deren Fehler korrigiert und im Hintergrund, wie es die Löwenmütter tun, ihre Familie und ihre (neue) Heimat verteidigt.
In einem an Action und weitschweifigen Naturbildern nicht armen Film gehört Sydney Sweeney die entscheidende Szene im Halbdunkel einer Hütte, in der sie vom Gouverneur der Galápagos-Inseln ins Verhör genommen wird. Der inzwischen verstorbene Ritter hatte den Verdacht am Mord an der Baronin auf Heinz Wittmer gerichtet, doch an der stoischen, im Hintergrund die Dinge richtenden Margaret Wittmer scheitert jede Anklage. Statt zu einer Verurteilung zu kommen, scheitern die Männer an einer Mutter, die mit dem Stillen ihres Kindes jede weitere Diskussion beendet.
Die Moral der Geschichte
Das aktuelle Hollywoodkino befindet sich in einem selbst verschuldeten Niedergang. Selbst in schlicht gestrickten Action- oder Comedy-Filmen predigen seine Filme einen Zeitgeist am Publikum vorbei. Die Figur des Girlboss ist einer jener Akteure, die nicht einmal beim weiblichen Publikum ankommen. Symptomatisch dafür sind etwa die Figuren der Rey in den letzten „Star Wars“-Filmen oder Mrs. Marvel in den „Marvel“-Filmen. Sydney Sweeneys Margaret ist dazu ein Kontrapunkt. Ja, auch sie stellt sich am Ende als die entscheidende Figur der Geschichte heraus, doch sie tut es nicht, indem sie sich als strahlende Heldin in den Vordergrund stellt. Eine Selbstdarstellung, wie jene der (übrigens falschen) Baronin, ist nicht ihre Art, weil sie sie nicht nötig hat.
Ron Howards Verfilmung der wahren Ereignisse auf der Galápagos-Insel Floreana im Film „Eden“ ist mehr als eine weitere Geschichte vom gescheiterten Traum des menschlichen Paradieses. Anhand der drei zentralen Frauenfiguren – der exzentrischen Baronin Eloise (Ana de Armas) als Verführerin, der idealistischen Dore (Vanessa Kirby) als Bewahrerin der Philosophie und der pragmatischen Margaret Wittmer (Sydney Sweeney) als Mutter – zeichnet Howard ein intensives Psychogramm des menschlichen Konflikts. Die utopische Hoffnung auf ein Leben jenseits der Zivilisation zerbricht an Eitelkeit, Machtspielen und den menschlichen Abgründen der Siedler. Am Ende stehen nicht die großspurigen Visionen oder die Verführungskünste, sondern die stille, unauffällige Entschlossenheit der Mutter Margaret im Zentrum, die ihre Familie und ihre neue Heimat gegen alle Widrigkeiten verteidigt und sich so als die eigentliche, unbesungene Herrscherin der Insel entpuppt. Der Film ist damit eine Hommage an jene stille Stärke, die fernab von jeglicher Heldenpose das Überleben sichert und die wahre Moral der Geschichte darstellt: dass die Rückkehr ins Paradies daran scheitert, dass der Mensch Mensch bleibt, aber dass in der Liebe und dem Schutz der Familie die größte, wenn auch unspektakulärste, menschliche Stärke liegt.


