Die „Weltbühne“ ist zurück – lohnt sich die Lektüre?
Ich habe die Neuauflage der "Weltbühne" gelesen, damit ihr es nicht tun müsst.
Zusammenfassung: Die Lektüre der neuen Ausgabe der „Weltbühne“ ist eine gemischte Erfahrung. Statt die scharfe analytische Tradition der historischen Zeitschrift fortzuführen, scheint die Neuauflage teils in einem Wirrwarr aus fragwürdigen Thesen und ideologischer Verwirrung gefangen zu sein. Während Beiträge von Anatol Lieven und David Engels aufzeigen, wie eine zeitgemäße, kritische Debatte aussehen könnte, dominieren doch Texte, die in den Niederungen von Antisemitismus und naiven Verschwörungstheorien verharren.
Wer sich mit der Geschichte der Weimarer Republik beschäftigt, wird früher oder später auf Die Weltbühne stoßen. Obwohl mit einer Auflage von 15.000 auch für die damalige Zeit ein eher kleines Blatt, war die linke Wochenzeitschrift eine der vielleicht einflussreichsten Publikationen ihrer Zeit. Aber die Namen ihrer Herausgeber - Siegfried Jacobsohn und Carl von Ossietzky - sind in der Öffentlichkeit schon längst vergessen. Als ich kürzlich mit einem linksliberal eingestellten Freund beim Essen über Die Weltbühne sprach, konnte der nicht einmal mehr mit der Zeitschrift an sich etwas anfangen. Nur Teile ihrer Autoren sind bis heute bekannte Namen - allen voran wohl Kurt Tucholsky und Erich Kästner.
Das stramm antifaschistische Blatt wurde unter den Nazis eingestellt, erschien aber nach dem Krieg bis 1993 in der DDR wieder. Wo man sich mit dem durch die SED errichteten Regime recht gut verstand. Doch danach wurde es still um die Zeitschrift.
Heute gehört Die Weltbühne Holger Friedrich, dem Verleger der Berliner Zeitung, der für die Rechten zu links, und für die Linken zu viel AfD-Berührungspunkte hat, ein Putin-Versteher usw. usf. - Einigen wir uns darauf, Friedrich ist eine umstrittene Figur der deutschen Medienlandschaft.
Neuauflage im Mai 2025
Im Mai diesen Jahres wurde die Zeitschrift neu herausgegeben, statt eines wöchentlichen Erscheinungszeitraums, ist man monatlich unterwegs und mit 11 Euro für ein Heft, das alte weiße Männer (und Frauen) an die Hausaufgabenhefte ihrer Schulzeit erinnert, ist die neue Weltbühnen-Variante auch nicht gerade günstig.
Herausgeben von Thomas Fasbender und Behzad Karim Khani lag zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags die 4. Nummer in den Auslagen der Zeitschriftenläden. Ein kleines rotes Heft, das meine Aufmerksamkeit geweckt hat. Allerdings mehr aus einer gewissen Faszination für die Zwischenkriegszeit heraus, als das ich mich groß im Zielpublikum für die Zeitschrift gesehen hätte.
Aber man weiß ja nie …
Den Anfang macht ein trotzig und selbstverherlichender Beitrag von Dr. Asmaa El Idrissi, in dem die Juristin - nein, Verfassungsjuristin, darauf besteht sie bestimmt - und Diversitätsmanagerin ihre feministischen Weg zum Kopftuchtragen beschreibt. Ihre Selbst-Stilisierung zur Heldin deutet auf jene Weltsicht hin, in der die Mehrheitsgesellschaft das freiwillige Tragen eines Kopftuchs grundsätzlich ablehnt. Was jetzt nicht wirklich der Fall ist und selbst durch das herbeizitieren von ein paar rechtsextremistischen Spinnern auch nicht evidenter wird. Ich muss sagen, kein besonders fesselnder Einstieg. Aber im Anschluss kommt ja ein Text des chinesischen Künstlers Ai Weiwei - eine große Nummer im Kulturbetrieb.
Was in der liberalen Zeit nicht abgedruckt wurde
Ai Weiwei scheint allerdings in Ungnade gefallen zu sein, wenn ich mich augenblicklich auch nicht daran erinnern kann warum. Obwohl die Zeit inzwischen ja von einer angesehenen, streitbaren Wochenzeitung für Liberale auch eher zum linken Kampfblatt mutiert ist, lehnte sie den zuvor von Weiwei angefragten Text allerdings ab. Das ist in linksliberalen Kreisen ja nicht unüblich geworden. Was nicht ins eigene Denkgebäude passt, wird halt gecancelt.
In der Hamburger Redaktion muss man aber inzwischen äußerst engstirnig geworden sein, denn ich kann in dem Text, den die Zeit ablehnte und nun die Weltbühne druckte, wenig Anstößiges finden. Oder sind folgende Zeilen für den ein oder anderen im Establishment schon schwer zu ertragen?
“In der Atmosphäre ringsum erkennt man keine Kultur, sondern Selbstbeweihräucherung; keine Kunst, sondern Abgrenzung und kollektive Ehrfurcht vor Macht.”, Die Weltbühne Nr. 4
Linke Narrative dürfen nicht fehlen
Kurz darauf beginnen allerdings die Probleme, Herausgeber Behzad Karim Khani glaubt, dass (s)eine Meinung zu kurz kommt und in seinem Essay schreibt:
“Und dürfte nie populär werden, so lange die weiße Mehrheitsgesellschaft ihre Dominanz ausübt.”, Die Weltbühne Nr. 4
Um dann anzufügen:
“Aber das wird sich ja zumindest bald erledigt haben.”, Die Weltbühne Nr. 4
In diesem Absatz gibt Khani Preis, was in der modernen Linken schief läuft. Es geht nicht darum auf der Seite des Schwächeren zu stehen, denn auch der weiße Arbeiter muss seine Dominanz einbüßen, damit Menschen wie er zufrieden sind. Und ganz nebenbei gibt der der Neuen Rechten noch Futter, indem er die Verschwörungstheorie des Völlkeraustauschs propagandiert und das Ende der “weißen Mehrheitsgesellschaft” als Wunschbild projeziert.
Aber damit ist sein Essay noch nicht zu Ende, denn es trieft auch noch voll Antisemitismus. Natürlich beklagt er sich darüber, dass man diesen Vorwurf anbringt, schließlich sei Antisemitismus und Antizionismus nicht dasselbe. In der postkolonialen Theorie mag das zutreffen, in der Realität bedeutet Antizionismus allerdings “From the River to the Sea” und damit die Auslöschung des einzigen sicheren Hafens für Juden weltweit. Auf Europäer, das zeigen die Ereignisse nach dem 7. Oktober und ganz aktuell auch Friedrich Merz, kann sich Israel, können sich die Juden eben nicht mehr verlassen. Und ja, wer die Auslöschung eines jüdischen Staates fordert ist ein Antisemit.
Es gibt noch einen zweiten Aufsatz, der sich an Sascha Lobo abarbeitet und mit einem Anonymus als Autor gekennzeichnet ist. Auch wenn mir durchaus sympathisch wäre, wenn sich jemand am Säulenheiligen des deutschen Internets abarbeiten würde, zeigt der gleiche krude Antisemtismus doch, dass auch hier Behzad Karim Khani der Autor sein dürfte.
DDR-Nostalgie darf offenbar nicht fehlen
Daran, dass Die Weltbühne über Jahrzehnte ein SED-konformes Blatt war, erinnert Michael Brie in seinem Essay “Die zehn Freiheitsfahnen des Boxeraufstandes”. Der Philosoph und Sohn eines DDR-Karrierediplomaten sehnt sich nach der guten alten Freundschaft zwischen der DDR und der Volksrepublik China und predigt den DDR verherrlichenden Antikriegsnonsens, demzufolge die NVA nur besser bewaffnete Pfadfinder waren und nicht dafür ausgebildet den Klassenfeind den Sozialismus mit Panzern zu predigen.
In die Antikriegstradition der alten Weltbühne schlägt auch Ralf Stegner ein, der damit am Ende selbst der SPD so peinlich war, dass man ihn nicht mehr an prominenter Stelle haben wollte. Was angesichts der immer noch weitverbreiteten naiven Haltung deutscher Sozialdemokraten gegenüber Wladimir Putin durchaus als eine Leistung betrachtet werden kann.
Die Kommune 1 lebt - ein bisschen
Aber wenden wir uns weiter der linken Vergangenheit zu, in Form von Herausgeber Thomas Faßbender jedoch der westdeutschen Linken und ihres Posterboys Rainer Langhans. Nun, der It-Boy der 68er ist alt geworden. Inzwischen mag er Törtchen, vegan, und isst gerne Avocado, wozu sich auch um die Armen in Chile kümmern, denen er damit das Wasser klaut. Interessant an dieser Ausgeburt der von Herausgeber verfassten Langeweile ist vielleicht nur, dass er mit Alexis de Tocqueville und Sheldon Wolin zwei Beobachter der Demokratie nennt, die auch Patrick J. Deneen zitiert, wenn er das Grundgerüst für jene Theorie entwirft, der J. D. Vance und damit letztlich auch die gesamte Trump-Administration folgt. Und man liest, das schon Rainer Langhans jenem linken Hass auf die Familie nachhängt und - wie er betont - noch immer hegt.
“Die Kleinfamilie ist nun wirklich verbrannt, durch die ganze Geschichte. Sie hat genügend Mörder hervorgebracht. Deswegen haben wir auch gesagt: Kommune, sonst werden wir nicht überleben.”, Die Weltbühne Nr. 4
Diese Aussage ist so dumm, wie sie historisch falsch ist. Schließlich ist die Kleinfamilie eine relativ späte Erfindung der Geschichte, dafür lebte man Jahrhunderte in Klans und später Großfamilien. Natürlich hat Langhans sich das nicht selbst ausgedacht, sondern wahrscheinlich in den Thesen über Feuerbach von Karl Marx gelesen.
Hundekot um Kritiker zu kritisieren
Ach ja, wenden wir uns lieber der Kunst zu, oder anders ausgedrückt Ralf Stabels Essay “Das Weiheopfer”.
Das “Weiheopfer” verkörpert der Choreograph Marco Goecke, ein Name, der außerhalb der Kunstsszene unbekannt war, bis er einer FAZ-Kritikerin den Kot seines Dackels ins Gesicht schmierte. Die Älteren unter uns erinnern sich, dass war 2023 eines der wenigen Ereignisse in der in sich geschlossenen Kunstwelt der Elite, die auch zu Otto-Normal-Verbraucher durchklang.
Auf wessen Seite Stabels Sympathien liegen, wird nicht nur dadurch kenntlich, dass er den Namen des eigentlichen Opfers gar nicht erwähnenswert findet. Stattdessen gilt sein Mitleid Goecke, der selbst wohl überrascht schien, dass sein sprichwörtlicher Shitstorm einen medialen Shitstorm gegen ihn auslöste. Das man dort die Attacke hauptsächlich als Gewalt gegen Frauen auslegte, männliche Kritiker also auch mal härter angefasst werden können, zeichnet nur nach, in welchem Mikrokosmos der Hauptteil der Debatte stattfand.
Das Beste kommt zum Schluss
Also doch lieber zu Thomas Mann, an dem im Jahr 2025 kein Weg vorbei führt und Anatol Lievens Rat an Liberale den “Zauberberg” zu lesen. Anatol Lieven nutzt Mann’s Figur Professor Settembrini, um das Dilemma zu illustrieren, in dem die Liberalen stecken.
Tatsächlich ist Lievens Essays einer jener linken Beiträge in dieser Weltbühne-Ausgabe, die wirklich lesenswert sind. Nicht nur, weil er tatsächlich links ist und nicht links-liberal-grün, wie der große, den Mainstream beherrschende Block. Das merkt man nicht nur in seiner Herführung der Geschichte der Liberalen, in denen er zumindest kurz skizziert, wie deutsche Konservative und Sozialdemokraten ihre Werte verloren, in dem sie beide immer weiter in die liberale Mitte gingen. Eine Bewegung, die, auch wenn Lieven das unerwähnt lässt, erklärt, warum die deutsche Variante der “liberalen Demokratie” keine liberale Partei wie die FDP braucht, die ohnehin nur ein erstaunlich langer Wurmfortsatz der einst großen national- und linksliberalen Tradition der Weimarer Liberalen war.
Lieven warnt auch vor dem Weg den Trump auf der einen und die liberalen Demokratien auf der anderen Seite beschreiten - und die Biden-Administration ebenso. Der Einengung der demokratischen Ordnung durch Gerichte und dem Hang der Liberalen ihre Ziele auch gegen Mehrheitsmeinungen von Gerichten durchzusetzen. Für Lieven ist das der Gegensatz zwischen einem Rechtsstaat und der “Herrschaft des Rechts” nennt und die, so Lieven, erinnere ihn doch sehr an das Diktum des “Ausnahmezustands” von Carl Schmitt.
“Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.”, Car Schmitt, NS-Staatsrechtler
Aber wie immer, kommt das Beste zum Schluss - auch wenn sich David Engels Essay “Die KI-Waifus und der Konservativismus” nicht ganz zum Ende des Weltbühnen-Heftchens befindet.
Engels, Althistoriker aus Polen und in Belgien lehrend, ist ein dezidiert konservativer Intellektuelle und in gewisser Weise der Beweis, dass es die neue Weltbühne mit ihrem Vorsatz der Meinungsfreiheit ernst meint. Freilich ist Engels auch eher im sozialen, als libertären Teil der Konservativen verortet und somit in gewisser Weise anschlussfähig, als so manch anderer.
Er beschäftigt sich mit dem Thema KI und deren Auswirkungen auf die emotionale Entwicklung des Menschen. Die sieht er schon jetzt eher im Argen und zeichnet für die Generation Z ein Bild zwischen “Incels” und “Tradewifes”. Einem Befund, dem man vielleicht nicht ganz von der Hand weisen kann, aber entgegenhalten muss, dass die Generation X ähnlich große Umwälzungen vor allem im familiären Bereich durchmachte und trotzdem ganz ordentlich wurde. (Ich persönlich sehe die GenZ übrigens auf dem gleichen Weg.) Dennoch hat Engels natürlich Recht, gerade im zwischenmenschlichen Bereich sieht man KI viel zu selten als “Gamechanger”.
Das gerade Konservative sich viel zu sehr beim Kampf in anderen gesellschaftlichen Bereichen verzetteln, ist sicher eine ähnlich treffende Feststellung. Und man mag ihm, als Konservativer, nur zustimmen, wenn er die Aufgabe der Konservativen wie folgt definiert:
“Vor allem nämlich, um Positionen zu besetzen, solange man die Ereignisse noch mitgestalten kann - und ihnen nicht hinterherlaufen muss.”, Die Weltbühne Nr. 4
Fazit
Die Lektüre der neuen Ausgabe der "Weltbühne" war eine gemischte Erfahrung. Statt die scharfe analytische Tradition der historischen Zeitschrift fortzuführen, scheint die Neuauflage teils in einem Wirrwarr aus fragwürdigen Thesen und ideologischer Verwirrung gefangen zu sein. Während Beiträge von Anatol Lieven und David Engels aufzeigen, wie eine zeitgemäße, kritische Debatte aussehen könnte, dominieren Texte, die in den Niederungen von Antisemitismus und naiven Verschwörungstheorien verharren.
Die "Weltbühne" hat ihren Namen von einer der einflussreichsten Publikationen der Weimarer Republik geerbt, ob sie jedoch zu einem intellektuellen Fixpunkt in der Bundesrepublik werden kann, ist eher zweifelhaft.
Die Weltbühne - Magazin für Politik-Kunst-Wirtschaft - Nr. 4 erschienen im August 2025